21.5.2006

Strassenbahnwahn ^W fahrn

Posted in Parkbank at 17:57 by Tokbela

Der Vorteil von hallenser Strassenbahnen ist, dass man dort viele lustige Hallenser trifft. Der Nachteil von hallenser Strassenbahnen ist, dass man dort – na? – viele lustige Hallenser trifft. So geschehen eben:

Erster Akt: An der Haltestelle.

Ich besuchte einen Bekannten zwecks Zurueckgabe einer Edelstahlschuessel. Nach einigem gemuetlichen Beisammensitzen machte ich mich auf den Rueckweg. Da der gute Mann am anderen Ende von Halle wohnt (nein, das ist nicht um die Ecke, auch wenn mir Halle nicht wirklich gross vorkommt), ging ich zur naechsten Strassenbahnhaltestelle, um dort auf die Strassenbahn zu warten. Bisher war es ein wunderschoener Tag, die Sonne schien, doch es war nicht zu warm. Der ideale Tag, um an einer Strassenbahnhaltestelle zu stehen und auf eine Strassenbahn zu warten. Dachte ich mir und dachten sich anscheinend auch einige andere Leute…

Ich stand also an dieser Haltestelle. Rechts neben mir ein offenbar stark alkoholisierter Mann, der sich murmelnd mit sich selbst, seiner Plastiktuete oder imaginaeren Menschen unterhielt und dringend ein Wochenende in einem gut ausgestatteten Badezimmer gebraucht haette, links neben mir drei Frauen, die die 50 weit hinter sich gelassen hatten und im Tigerstreifenkleidchen und Joggingjacke einen recht, nun, interessanten aeusseren Eindruck machten. Zwei der drei Damen hielten sich an Bierflaschen fest, die dritte stritt sich offenbar mit dem Fahrplan, dass die Bahn schon abgefahren waere, ohne vorher Bescheid zu sagen.

Die naechste Haltestelle war in Sichtweite, also verliess ich meinen Stehplatz und ging hin. Dort angekommen setzte ich mich auf eine der reichlich vorhandenen Sitzbaenke und las ein wenig. Mit der naechsten Bahn, die nicht meine war, leerte sich der Platz, sodass ich bei Eintreffen meiner Mitfahrgelegenheit vollkommen alleine an einem gut einsehbaren Bahnsteig stand. (fuer Erbsenzaehler: Ich bin zwischendurch aufgestanden. Wenn eine Dame, und sei es eine Bahn, den Raum betritt, steht man auf.) 

Halten wir das kurz fest. Ich stehe an einem verlassenen Bahnsteig (recht weit hinten, weil ich recht weit hinten in die Bahn einzusteigen gedachte), die Bahn (ebenfalls beinahe leer) faehrt ein. Jetzt die Masterfrage: Wo haelt der Schaffner?

[ ] recht weit hinten, sodass ich in der Mitte der Bahn einsteigen kann

[ ] in der Mitte, sodass ich hinten in die Bahn steigen kann

[ ] am vorderen Ende des Bahnsteigs, sodass ich, der einzige Mensch weit und breit, gezwungen bin, zu der Bahn zu rennen, auf die ich seit 10 Minuten geduldig warte

Na?

Genau dort. Ich liess mich also keuchend (naja, inzwischen ist meine Kondition viel besser, aber was macht man nicht alles fuer ein gutes Bild) in den Sitz fallen und nahm mir ein Buch vor, um mich auf der halbstuendigen Heimfahrt nicht zu langweilen.

Und so beginnen wir:

Zweiter Akt: Antiautoritaere Erziehung.

Ich sass also lesend in der beinahe leeren Strassenbahn, als eine Dame im besten Alter (in dem sich nicht mehr alles als Lachfaeltchen deklarieren laesst) mit einem etwa sechsjaehrigen Kind einstieg, das ihr erklaerte, dass eine Elf aus zwei nebeneinandergeschriebenen Einsen besteht. Das freute mich, man lernt ja nie aus und dieser Junge schien grade damit angefangen zu haben.

Die Dame schien das Ganze allerdings wenig zu interessieren, viel wichtiger war ihr, dass sich der Kleine hinsetzt. Ist in einer beinahe leeren Strassenbahn ja auch nicht verkehrt. Also blaffte sie ihn an, er moege sich doch bitte setzen, bis er der Aufforderung folgte und sich auf einem der vielen leeren Sitze niederliess. Die Dame hingegen lieferte ihm ein glaenzendes Vorbild und blieb stehen. Direkt im Eingang. In Reichweite des Jungen und fuenf leerer Sitze.

Vielleicht ist dies ja eine Form der Erziehung, die grade aus den Staaten heruebergeschwappt kommt. "Lebe deinem Kind Alternativen vor" oder "Weg von der Norm – in drei Jahren zum Punk". Ich jedenfalls war grade den kleinen Pillen, die ich 3 Wochen im Monat nehme, sehr dankbar. 

Nachdem das seltsame Paar die Strassenbahn verlassen hatte (erwaehnte ich bereits, dass ich eine halbe Stunde und etwa die gesamte Strassenbahnstrecke dort sass?), geschah:

Dritter Akt: Hinhoeren statt Mitdenken.

Der Junge war fort, ich vertiefte mich wieder in mein Buch, als laute Stimmen sich in mein Bewusstsein vorarbeiteten. Da wurde doch nicht etwa gestritten?

Zwei Frauen redeten gestikulierend und mit verkniffenen stark geschminkten Gesichtern aufeinander ein. Die Lautstaerke entsprach dem Tonfall, und dass beide Stimmen eher dissonant klangen, liess die Situation nicht grade friedfertiger erscheinen. Ich wollte grade seufzend abschalten und mich wieder der Geschichte widmen, als die Frau in mir durchkam und ich unweigerlich die Ohren spitzte, um mitzubekommen, worum es denn ging. War der Mann der einen mit der anderen zusammen gesehen worden? Hatte der Baecker nebenan die eine bevorzugt behandelt, waehrend die andere seit einer halben Stunde auf seine Aufmerksamkeit wartete? Waren die Geranien der einen dem Pudel der anderen im Halse steckengeblieben?

Nein, die beiden unterhielten sich in vollkommen normalen Worten (nur halt im Hallenser Dialekt) ueber eine Geburtstagsfeier, die sehr schoen gewesen zu sein schien.

Ich sollte mir vielleicht doch ein Fahrrad kaufen. 

One Response to “Strassenbahnwahn ^W fahrn”

  1. G. Says:

    … Du wolltest ja unbedingt mit der 1 fahren…
    Wenn Fau Tokki nicht hoeren kann, und lieber Haltestellen mit einem Kiosk frequentiert, sollte sie sich nicht wundern…

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