16.7.2006

Olfaktorische Erlebniswelt

Posted in Parkbank at 15:19 by Tokbela

Menschen sind von Natur aus neugierig. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden, basiert doch darauf der Fortschritt. Ohne Neugierde wuerden wir uns noch immer darueber wundern, dass der Apfel nicht weit vom Stamm faellt, statt einfach zum benachbarten Birnbaum zu schweben.

Diese Neugierde veranlasst Menschen auch, andere Menschen in deren natuerlicher Umgebung zu beobachten. Schoen erkannt hat man dies an den phaenomenalen Einschaltquoten von BigBrother (erste Staffel), dem TV-Container, in dem sich – frei nach George Orwell – eine Hand voll Menschen den sensationsluesternen Blicken ganz Deutschlands ausgesetzt haben. Ebenfalls sichtbar wird es fuer Leute, die im Erdgeschoss neben einem gut frequentierten Fussgaengerweg leben. So wie Raffi und ich es tun.

Die Leute gucken ungeniert in unser Schlafzimmer, lesen die Buchruecken im Regal und sehen uns beim Arbeiten zu. Deswegen bleibt der Rollo unten und wird nur bei sintflutaehnlichen Regenfaellen oder Gewittern hochgezogen. Das ist zwar auf die Dauer wahrscheinlich nicht besonders gut fuer die Augen (und wuerde erklaeren, warum ich auf den ersten Metern, die ich daussen laufe, meistens blind wie ein Maulwurf bin), aber hervorragend fuer die Privatsphaere. Und wenn es drauf ankommt, weiss ich, was ich vorziehe.

Natuerlich sind die Blickabwehrer nicht ganz geschlossen, sondern nur so weit heruntergelassen, dass zwischen den Lamellen noch zentimeterdicke Spalten sind. Dadurch koennen wir nach draussen schauen (zB um den gerade vorbeigefahrenen Pseudo-Loveparade-Traktor mit Pseudo-Sommerhit-Schubidu-Mucke fassungslos anzustarren) und eine gewisse Belueftung unserer Wohnung ist dank sperrangelweit (auf Kipp) geoeffnetem Kuechenfenster auch gewaehrleistet.

Womit wir beim Thema waeren: Der Luft als Geruchstraeger.

Durch den staendig hereinwehenden Wind (ich habe noch nie erlebt, dass es hier herausweht – wonach richtet sich die Durchzugsrichtung eigentlich?) werden die unterschiedlichsten Gerueche an meine Geruchrezeptoren getragen, welche sich darueber tatsaechlich auch manchmal freuen.

Nehmen wir da zuerst das allseits bekannte und hier sehr gut untersuchbare Uebel: Zigarettenrauch. Geht ein Raucher vor unserem Fenster entlang (egal in welcher Geschwindigkeit – gestern war es ein Radfahrer, der uns Geruchserlebnisse sondergleichen bescherte), riecht es hier noch minutenlang nach Rauch. Als Nichtraucher, die sich zudem noch in ihrer Wohnung befinden, aergert uns das jedes Mal. Es ist klar, dass wir draussen kein Rauchverbot-Schild aufhaengen koennen, aber dass der krebsverursachende, embryoschaedigende, hautalterungsprozessbeguenstigende und stinkende (fuer weitere Infos empfehle ich an dieser Stelle die Lektuere von Zigarettenschachteln) Rauch von Vorbeigehenden, die ich weder sehe noch kenne, hier hereinzieht und uns belaestigt, finde ich nicht besonders toll. Vor allem, da der Gestank ungluecklicherweise recht lange anhaelt.

Was dafuer lange anhalten kann, es aber nicht tun, sind Parfumgerueche. Manchmal moechte ich nach Erschnuppern solch lieblicher Duefte vorbeilaufender Damen das Rollo hochreissen und ihnen hinterherrufen: "Was ist das fuer ein Parfum, schoene Frau?"

Natuerlich fallen nicht alle Waesserchen in diese Kategorie (was ich als passionierte Strassenbahnfahrerin sagen kann und darf), doch bei einigen schlaegt mein Herz schneller und der Raum beginnt, sich zu drehen. Vielleicht sind es nur untergemixte THC-Rueckstaende, wer weiss.

Da wir gerade bei Sucht sind: Besonders gemein sind Essensduefte. Ich rede hier nicht von Oma Ernas Spezial-Kohlsuppe (Oma Erna und ihre Suppe sind hier frei erfunden, mir geht es um den literarischen Effekt), sondern von Gegrilltem, Gebratenem, Geschmortem,  Geduenstetem; kurzum: Von den Hochgenuessen internationaler Kochkunst. Sitzt man hier und ist hungrig, treiben einem diese Duefte den Speichel literweise in den Mund, sodass man anschliessend wenigstens schonmal keinen Durst mehr hat. Liegt man hier allerdings mit vollem Magen und versucht, dem Gurgeln und Druecken knapp oberhalb der Guertellinie moeglichst wenig Beachtung zu schenken, helfen von draussen hereinziehende Wohlgerueche nicht gerade dabei. Da wuenscht man sich dann, dass Oma Erna existiert. Solange sie Nichtraucher ist, versteht sich.

10 Responses to “Olfaktorische Erlebniswelt”

  1. G. Says:

    hmm, Rollo hoch und GARDINEN vor die Fenster.

    Ich wohn (wie Du evl noch weisst) ebenfalls im Erdgeschoss.
    Und das ist besser für die Augen.

    G.

  2. Tokbela Says:

    Gardinen sind hier fuer den Sommer keine durchfuehrbare Option, da sie aufgrund des Fensteraufbaus bei geoeffnetem Fenster nicht angebracht werden koennen. Bei geschlossenen Fenstern ist das kein so grosses Problem mehr, doch die Fenster zu schliessen ist im Sommer mit Suizid durch Ueberhitzung gleichzusetzen.
    Ausserdem denke ich nicht, dass sich unsere Wohnsituationen derart vergleichen lassen, weil deine Fenster etwas hoeher liegen und bei dir ausserdem ein Vorgarten liegt, was bei uns nicht der Fall ist.
    Aber eigentlich keine so schlechte Idee, Gardinenstangen haben wir ja schon

  3. Dein PAPA Says:

    Ausserdem erinnere ich Dich an die erst kürzlich geführte Diskussion über die Standortwahl eurer Wohnung.
    Es gab, ohne zu große Umstände, Alternativen, die aber nicht auf Dein Wohlwollen fielen.
    Also mecker nicht, sondern fass Dir bei der Wahrnehmung fremder Blicke und Gerüche an die eigene Nase.
    Jawoll – muss doch auch mal gesagt werden in der ewigen “bedauer mich” Stimmung.

  4. Tokbela Says:

    Pft, das war keine “bedauer mich”-Stimmung, sondern eine Situationsbeschreibung.

  5. drosi Says:

    Irgendwie ist dein Papi cool :)

  6. G. Says:

    tja… ich will ja nix sagen, aber bei uns sind div. Wohnungen frei (mit Breitbandinternetanschluss!!!), die hoch genug sind, das keiner reinschaut… (also ab 1. Etage)

    G.

  7. Tokbela Says:

    Es hat seine Gruende, warum ich nicht umziehen will.
    1. die Wohnung ist schoen, bis auf die beiden Makel (Strassenlaerm und Hereinschauende).
    2. Ein Umzug bedeutet Stress. Meine Einrichtung hat sich seit dem letzten Umzug locker verdoppelt. Dann muss hier gestrichen werden, die ganze Kacke umgemeldet..
    3. Ich wohne seit 2 Jahren in Halle und hatte seitdem 2 Umzuege. Langsam ist gut, irgendwo moechte ich zur Ruhe kommen, bis mein Studium hier in Halle beendet ist. Das kann in einem, aber auch in drei Jahren sein. Ich hab’ keinen Bock auf Umzug.

    Und mein Papi muss cool sein. Per Definition.

  8. G. Says:

    also hast Du allen Deinen Freunden vor den Kopf gestossen, denn die paar Stücke wären in 1h umgezogen.
    Denk mal an meinen Umzug…
    Das ging auch schnell, weil alle mit anfassten…

    G.

  9. Tokbela Says:

    Du hast die Haelfte deiner Wohnungseinrichtung neu gekauft. Du musstest deine hinterlassene Wohnung nicht renovieren. Du musstest von dem Zeug, das du an dem Tag ruebergebracht hast, nichts aufbauen. Du hattest noch Wochen spaeter unausgepackte Kisten rumstehen; wie lange das Kistenpacken gedauert hat, weiss ich nicht. Du lebtest auf schaetzungsweise 15 qm.
    Versteh mich nicht falsch, ich will weder meckern noch jammern. Ich moechte nur verdeutlichen, warum ein Umzug mir zu viel (unnoetige) Arbeit verursacht.

  10. Dein PAPA Says:

    Hast Du wirklich keine unausgepackten Kartons mehr von z.Hs.?

    Aber es tut mir ja inzwischen fast leid, in welche Erklärungsnöte ich Dich mit den paar Bemerkungen gebracht habe. Das swar sicherlich nicht der Sinn meiner Bemerkung.
    Also – fühl Dich wohl dort wo Du Dich wohlfühlen willst – mit allen Vor- und Nachteilen.

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