3.7.2006
Sehr geehrte Frau Knobloch,
als Praesidentin des Zentralrats der Juden muessen Sie sowas wahrscheinlich fordern. Nationalsozialismus als Schulfach. Bundesweit.
Zuerst habe ich ueber die Forderung geschmunzelt. Was soll man im Fach "Nationalsozialismus" lernen? Marschieren? Aber genug der albernen Witze.
Ich bin jetzt 21 Jahre alt, geboren im Jahr 1984. Meine Mama ist vor kurzem 50 geworden (ich darf das sagen, ihr macht das nichts aus), geboren im Jahr 1956. Das einzige, was ich mit dem boesen Mann mit dem winzigen Schnauzbaertchen zu tun habe, ist, dass mein verstorbener Opa waehrend des Krieges die untere Haelfte eines Beines verloren hat. Ich identifiziere mich nicht mit der Zeit. Ich finde es ueberhaupt nicht in Ordnung, was da abgelaufen ist (und das ist noch harmlos ausgedrueckt), aber ich bin es leid, von meinen eigenen Landsmaennern in eine Schuldnerrolle gedraengt zu werden, die ich fuer mich unpassend finde. Das allgemein zum Thema Nationalsozialismus.
Ich habe meine Schulzeit (13 Jahre, regulaer) im Bundesland Nordrhein-Westfalen verbracht. Dabei sind wir von verschiedenen Lehrern in verschiedenen Faechern andauernd auf die Zeit des sogenannten Dritten Reiches gestossen worden.
Es fing in der Grundschule an, natuerlich paedagogisch wertvoll und kindertauglich. "Es war einmal ein boeser Mann, der eine ganze Menge Juden hat umbringen lassen. Und Behinderte. Und Kuenstler. Und Homosexuelle.". Damals war ich wirklich sauer auf den Mann. Und sauer auf mein Land, dessen Bewohner ihm das einfach so haben durchgehen lassen. Grundschuelergedanken halt.
Dann, auf dem Gymnasium, erlebte ich ein wunderbares fuenftes Schuljahr. Themen in Geschichte waren die Jungsteinzeit und ein Stueck der Eisenzeit, wenn ich mich richtig erinnere. Kein Wort ueber Herrscher, Monarchen und Diktatoren. Das mag ihnen nun sauer aufstossen, aber lesen Sie ruhig ein Stueck weiter.
In den darauffolgenden Schuljahren war ich nicht mehr sicher vor dem Thema Judenverfolgung und zweiter Weltkrieg. Wir sahen "Die Bruecke" und einen zweieinhalbstuendigen Dokumentarfilm, besuchten Dachau, kauten die politischen und gesellschaftlichen Gruende und Auswirkungen in Geschichte, Deutsch, Englisch, Politik, Sozialwissenschaften und sogar Latein durch. Selbst im Kunstunterricht wurde das Thema angeschnitten.
Es gab Zeiten, in denen ich mich auf Sport (Ausdauerlauf..) freute.
Es ist ein dunkles Kapitel in der deutschen Geschichte. Andauernd legen irgendwelche deutschen Politiker moeglichst bewegt fuer getoetete Juden/Deutsche/Polen/whatever Kraenze ab. Hisst man ausserhalb der WM-Zeit eine deutsche Fahne, wird man schief angesehen und schon beinahe in U-Haft genommen.
Sehr geehrte Frau Knobloch, der durchschnittliche deutsche Gymnasialschueler hat die Nase voll vom Nationalsozialismus und seinen Auswirkungen. Es soll nie wieder geschehen, wehret den Anfaengen, schoen und gut. Aber das wird nicht erreicht, indem Sie Kinder sich schuldig fuehlen lassen, statt ihnen von vorneherein zu vermitteln, dass ein Mensch eben ein Mensch ist, egal welcher Hautfarbe oder Religion er ist und egal, welche Form sein Bauchnabel hat.
Mit freundlichen Gruessen,
Anne Kornell.
(die das Thema zu ernst fuer Nicknames findet.)
July 3rd, 2006 at 18:26
*unterschreib*
Demnächst fangen wir zur Einschulung mit dem Jahr 1933 an und sind dann pünktlich zum Abi mit dem Jahr 1945 fertig. Man kann sich die nächste Generation Nazis auch selber züchten, indem man dieses Thema so extrem in den Vordergrund rückt, anstatt beispielsweise Trigonometrie zu lehren, womit man im Leben tatsächlich was anfangen kann.
Im Übrigen funktioniert Toleranz nur, wenn sie in beide Richtung gelebt wird, Und da bekleckern sich bestimmte jüdische Kreise auch nicht gerade mit Ruhm.
July 3rd, 2006 at 19:01
Hmmm, gut in meiner Grundschul- ääh Polytechnische Oberschule – Zeit wurde ich mit diesem Thema verschont. Im Gymnasium (nur bis zur 12. Klasse, jippi) wurde ich trotz Geschichte Leistungsfach insofern von dem Thema verschont (trotz umfangreichem Durchkauen fühle ich mich “verschont”), als dass ich mich weder schuldig, noch schuldig gemacht fühle. Ich denke, jeder fasst dieses Thema ein wenig differenziert auf. Allerdings hat Uwe schon nicht unrecht, dass man sich die nächste Generation heranzüchtet, wenn das Thema so in den Vordergrund rückt. Das einzige was ich wirklich nicht nachvollziehen kann, dass wir Wiedergutmachung an die Nachkommen der Nachkommen der Opfer zahlen… Irgendwann is doch einfach mal gut, oder?
July 3rd, 2006 at 21:57
meine kids sind jetzt im 2. bzw. 4. schuljahr und wurden bisher mit diesem kapitel der geschichte verschont, worüber ich sehr froh bin. bei aller liebe zur vergangenheit des eigenen volkes – man kann es auch übertreiben, vor allem was das alter und damit das verständnis der schüler angeht.
sehr positiv sehe ich momentan, dass mit der fußball-WM endlich wieder ein gesundes maß an nationalem stolz aufsteigt, ohne dass jemand ein schlechtes gewissen und dunkle gedanken dabei hat.
danke für diesen tollen beitrag.
July 4th, 2006 at 10:43
Danke fuer das Lob, es hat mich sehr gefreut. Vor allem, da es nicht von den “ueblichen Verdaechtigen” kam. In der Grundschule haben wir das Thema im 3. oder 4. Schuljahr behandelt. Das war also zwischen ’93 und ’95. Vielleicht ja zur Feier der Befreiung von Auschwitz vor damals 50 Jahren und abseits des Lehrplans..
July 4th, 2006 at 10:29
Ich bin da etwas zwiegespalten: Es ist natuerlich gut, dass sich ueberhaupt mal soetwas wie nationaler Stolz bildet.
Doch sehr schade und auch bedenklich finde ich, dass dies erst zu einer (und fuer die meisten wahrscheinlich auch nur waehrend dieser) WM geschieht.
July 4th, 2006 at 10:34
Warum “bedenklich”?
July 4th, 2006 at 11:02
Weil es (objektiv) wichtigere Gruende fuer einen solchen Stolz gibt / geben sollte, die aber (subjektiv) scheinbar keinen interessieren.
July 4th, 2006 at 17:05
Sehr geehrte Lehrer,
hier nun eine Flammende Rede für die Abschaffung der Schulen. Über 13 Jahre wurde ich mit Mathematik gequält. Mittlerweile fühle ich mich schuldig, dass ich keine Ahnung mehr von Geometrie habe ….
Sag mal, gehts eigentlich noch. Frau Knobloch hat ihre Forderung sehr eindeutig damit begründet, dass es zum Beispiel in Ostdeutschland ganze Schulen gibt, an der kein einziger Lehrer irgendwas über den Nationalspzialismus weiss.
Und darüber hinaus geht es auch nicht darum, dass es dir schlecht geht oder du dich für die Verbrechen der Nazis verantwortlich fühlst. Verdammte Tat, trägst du aber die Verantwortung dafür was heute passiert und da marschieren seit einigen Jahren wieder hunderte – bis zu mehreren tausend – Nazis durch die Gegend und hetzen gegen vermeintliche und tatsächliche Juden, Ausländer …
July 4th, 2006 at 17:08
Forsetzung:
Und ich wette drauf du gehoerst nicht zu einer gesellschaftlichen Feindgruppe der Nazis. Dann würdest du sicherlich anders reden.
Achso in einigen ostdeutschen Bundesländern gibt es nicht mal Geschichtsunterricht und dort haben die Nazis ihre stärksten Strukturen.
Also Hirn einschalten, bevor mensch eine solche Scheisse scshreibt.
July 4th, 2006 at 17:28
Und ein neues Fach, welches dann – weil kein Geld da ist – der Informatiklehrer noch nebenbei abhalten muss, loest das Problem? Super Idee.
Vorsicht mit solchen Pauschalaussagen. Ich trage die Verantwortung dafuer, wenn ich soetwas (aktiv oder passiv) unterstuetze. Kaempfe ich jedoch dagegen, waere ein solcher Vorwurf mehr als fehl am Platz.
Und die Forderung nach einem neuen Fach (bei gleichzeitigen Gespraechen, die Bildungskompetenzen komplett an die Laender abzugeben – sprich jedes Bundesland “kann machen, was es will”) behebt diesen Notstand?
Sorry, aber mit solchen Saetzen erreicht man nur, dass alle vorherigen Argumente (sinnvoll oder nicht) vergessen sind. Sachlich schreiben hilft, dann hoere ich mir auch gern andere Meinungen an.
July 4th, 2006 at 17:45
Lieber Thomas,
ueber deinen Abschlusssatz (mit dem du deine flammende Rede nicht gerade positiv unterstrichen hast) will ich mal hinwegsehen. Ansonsten aber hast du einige sehr interessante Punkte angesprochen.
(Erstmal Dank an Rafayel, der mir aus der Seele gesprochen hat.. Den Rest erklaere ich nun eigenhaendig.)
Wir leben in Deutschland. Da gibt es dieses Recht der freien Meinungsaeusserung. Und die Sache mit der Demokratie. Du weisst schon, alle machen das, was den Meisten am Besten gefaellt, oder so. Damit alle wissen, was den Meisten am Besten gefaellt, sollte man seine Meinung aeussern. Was man darf, dafuer gibt’s ja die Meinungsfreiheit. Aber ich schweife ab.
Vielleicht hast du meinen Text nicht hinreichend gruendlich gelesen. Ich habe meine Geschichte beschrieben. Meine Schulzeit. Meine Saettigung mit Schuldgefuehlen. Ich kann mir vorstellen, dass es Schulen gibt, an denen nichts oder nur sehr wenig zum 3. Reich gelehrt wird. Das finde ich falsch, da es sich um ein Kapitel der deutschen Geschichte handelt, welches man nicht vergessen darf.
Was Frau Knobloch (wie ich sie verstanden habe) moechte, ist, den Rassismus in Deutschland einzudaemmen oder gar verschwinden zu lassen. Gute Einstellung, das. Nur den von ihr vorgeschlagenen Weg finde ich falsch (siehe letzten Absatz meines Eintrags).
Moechtest du das schlechte Abschneiden deutscher Kinder bei der PISA-Studie dadurch verbessern, dass du zusaetzlich zu “Deutsch” noch die Faecher “Rechtschreibung” und “Grammatik” einfuehrst?
Noch Fragen? Du weisst ja, wie und wo du mich erreichst.
Tok.
April 20th, 2008 at 18:57
Bei uns in der Klasse haben die meisten die Nase voll vom Natiolnsozalismus und ich übertreibe auch nich. Seit der sechsten Klasse behandeln wir es jedesmal und jedesmal gibts ein einstimmiges Aufstöhnen, wenn die Lerhrein das “neue Thema” ankündigt. Nationalsozialismus als extra Fach? Ich will lieber nicht wissen, wie die dann aus meiner Klasse reagieren werden. Am Ende wird auch noch bewirkt, dass die Juden beschuldigt werden, und das sollte man nun wirklich vermeiden. Daher finde ich Frau Knoblauchs regelrecht dumm. Okay, Nationalsozialums ist ein Teil Deustcher Geschichte, aber man sollte auch mal sein Blickfeld erweitern und gucken, was so anders in der Welt los ist/war. Oder mal das Thema Israel-Palästina anschneiden, von dem die meisten wirklich keine Ahnung haben und nur den Medienschwachsinn glauben.
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