6.5.2007
Mal wieder gewaehlt.
In einem kleinen Dorf am Rande eines grossen Sees lebten die Grubianer. Die Grubianer waren ein emsiges Voelkchen, das sehr stolz war auf seine Erfolge in der Grubibeerenzucht. Sie buddelten tagein, tagaus in der Erde, legten die violett schimmernden Beeren frei, pressten den Saft auf grossen, knarzigen Saftpressen, kelterten Wein und brannten Schnaps.
Dem Voelkchen der Grubianer stand ein alter Mann vor, dessen ledrige Haut in zahlreichen Runzeln und Falten lag. Dieser Mann, Grubholdt, war der letzte Nachkomme des legendaeren Grubfried, der seinerzeit das hoechst demokratische Wahlrecht in das kleine Dorf am See gebracht hatte.
Nach jeder Ernte versammelten sich die Grubianer auf dem Dorfplatz. Einige hatten grosse Tonkruege dabei. Das waren die, die in diesem Jahr Dorfchef werden wollten. Die Kruege, auf denen die Kandidatennamen standen, wurden in der Mitte des Platzes in ein Zelt gestellt, vor dem sich schon seit dem fruehen Morgengrauen eine Grubianerschlange formierte. Jeder der Grubianer hatte eine kleine, blaue Murmel in der Hand, die an eine kleine Grubibeere erinnern sollte. Dann, nachdem der amtierende Dorfchef eine kurze Rede gehalten hatte (in der stets vorkam, dass er der beste Chef seit Jahrzehnten war und sein Tonkrug der dritte von Links sei) betraten die Grubianer nacheinander das Zelt und warfen ihre Murmel in einen der Kruege.
Derjenige, in dessen Krug am Ende die meisten Murmeln waren, hatte gewonnen und wurde fuer ein Jahr Dorfchef. So war das und alle fanden das gut, bis Grubholdt eines Tages vor der Wahl statt seiner ueblichen Rede etwas vollkommen anderes und unerhoert innovatives vorschlug.
"Liebe Grubianer und Grubianerinnen", sagte Grubholdt und strich sich seinen faltigen Bauch. "Seit Jahrhunderten leben wir in Frieden, Eintracht und Demokratie. Die Felder sind fruchtbar und dank immer neuer Methoden ist unsere Grubibeerenausbeute heutzutage reicher denn je."
Einige Grubianer nickten stolz.
"Beinahe alles hat sich veraendert und zum Besseren gekehrt, nur unsere Wahl ist umstaendlich wie eh und je. Und so frage ich euch nun: Haben wir es in diesen fortschrittlichen Zeiten noetig, zu waehlen wie unsere Altvorderen? Wollen wir uns jedes Jahr mit einer abgegriffenen Murmel in ein muffiges Zelt begeben? Wollen wir Stunden mit dem Abzaehlen der Stimmen verbringen?"
Die Grubianer sahen sich zweifelnd an, manche versteckten verschaemt ihre Murmeln.
"Ich habe eine neue, moderne Wahlmethode entwickelt!"
Jubel schallte ihm entgegen; Huete, Beeren und einige kleine Kinder flogen in die Luft.
"Sie ist wirklich einfach, unkompliziert und genauso gerecht wie die bisherige. Nur besser. Ich nenne sie Wahl 2.0."
Die Grubianer hingen ihrem Chef an den Lippen.
"Passt auf, ich erklaere sie euch kurz. Ihr alle kommt nach der Ernte einzeln zu mir und sagt mir einfach, wer Chef werden soll. Ich merke mir das und wenn jeder bei mir war, stelle ich mich auf den Platz und verkuende es. So sparen wir uns auch das furchtbare Murmelzaehlen, das immer so lange dauert."
Tosender Beifall brandete durch die Menge. Grubholdt nickte zufrieden, watschelte in das Wahlzelt und rief: "Einer nach dem anderen, bitte!"
So nannte dann ein Grubianer nach dem anderen Grubholdt seinen Wunschkandidaten, waehrend dieser konzentriert zuhoerte und nebenbei ein paar Schachprobleme loeste.
In diesem Jahr wurde Grubholdt gewaehlt, genau wie in allen folgenden.
Findet ihr komisch? Ich nicht.
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